Eine Himmelfahrt ins Nichts?
Weltbürger diskutieren in Hamburg globale
Zukunftsprobleme
Unser Planet gefindet sich in einer gefährlichen
Krise: Ozonlöcher, Treibhauseffekt, Bevölkerungsexplosion,
Umweltzerstörung, Flüchtlingsströme, persönlicher
wie kultureller Identitäts- und Werteverlust, Neofaschismus, UNO-Einsätze
in Somalia und auf dem Balkan.
"Je nachdem wie der Mensch auf diese globalen Herausforderungen
reagiert, ergeben sich drei denkbare Zukünfte: das katastrophale
Ender der Menschheit, eine enthumanisierte totalitäre Robotergesellschaft
oder eine solidarische Weltföderation." So steht es im Grußwort
des Politologen Ossig Flechtheim, wissenschaftlicher Vater der Futorologie
(Zukunftsforschung), zum Internationalen Weltbürgertreffen vom
8. bis 10. Januar in Hamburg.
Wesentlich pessimiestischer als Flechtheim, der Ehrenpräsident
der deutschen Weltföderalisten sit, sieht ein anderer Teilnehmer
die Zukunft der Welt, der Ex-Parlamentarier Herbert Gruhl. "Ich
weiß, angesichts der Globalität der Probleme, daß eine
Art ökologisches Weltbürgertum überlebensnotwendig wäre.
Aber ich glaube nicht mehr daran, daß die Leute dies noch rechtzeitig
genug realisieren."
Läßt Flechtheim in seinem Buch "Ist die Zukunft noch
zu retten?" die existentielle Frage bewußt offen, um für
ein globales Krisenmanagement im Rahmen der zu einer demokratisch legitimierten
Weltföderation weiterentwickelten UNO zu plädieren, so signalisiert
der neueste Buchtitel des Bestsellerautoren Gruhl (u.a. "Ein Planet
wird geplündert") eine "Himmelfahrt ins Nichts".
Um diesen tödlichen Fortschiritt zu vermeiden, treffen sich die
WEltföderalisten zu ihrer Tagung mit dem Thema "Reform der
Vereinten Nationen und Neonationalismus".
Die politisch grundlegende Idee einer Weltföderation entwickelte
sich vor etwa 125 Jahren. In den Vereinigten Staaten schrieb 1868 Francis
Vincent über eine Welt, geordnet durch eine der USA ähnliche
Verfassung. Zwei Jahre später zeichnete der Japaner Ono Azura das
Bild einer vereinigten Weltregierung, geleitet von übergeordneten
Gesetzgebern und ehrlichen wie fähigen Verwaltern.
Der Verlauf der Geschichte mit den Zerstörungen des Ersten und
Zweiten Weltkrieges zeigt, wie wenig vorbereitet die Menschen für
solche Forderungen waren. Die Weltföderalisten galten als unverbesserliche
Utopisten und führten ein Schattendasein.
Das sollte sich im Oktober 1945 ändern. Enttäuscht von der
Struktur der UNO, die aus souveränden Nationalstaaten zusammengesetzt
war und von denen einige das Vetorecht besaßen, veranstalten Clark
und Owen Roberts (Richter am höchsten US-Gerichtshof) eine Konferenz
führender Internaionalisten in Dublin, New Hampshire.
Obwohl ursprünglich geplant war, Programme zur Verbesserung und
Stärkung der UNO zu unterzeichenen, stand am Ende eine Deklaration
für eine universale föderalistische Weltregierung. Während
der ersten Jahre ihres Bestehens koordinierte der Dachverband der Weltföderalisten
die Aktivitäten von etwa 60 Gruppen in 29 Ländern. Im Jahre
1950 zählte der Verband 151 000 Mitglieder.
Dennoch verlor die Bewegung in den flgenden Jahren aus verschiedenen
Gründen Mitglieder. Zum ersten beschlossen die meisten Föderalisten
in Europa, sich auf das u konzentrieren, was sie als das unmittelbare
Ziel ansahen: die europäische Föderation voranzutreiben. Folgenreicher
vielleicht aber waren die für die Bewegung lähmende Wirkung
der Sowjetunion unter Stalin und der kalte Krieg. Eine Weltföderation
erschien zu diesen spannungsreichen Zeiten den meisten als utopisch.
Wahrscheinlich klang die weltföderalistische Willenserklärung
damals nicht nur hochidealistisch, sondern angesichts der Ost-West-Spaltung
und eines drohenden Atomkrieges auch reihclich surrealistisch. "Als
Weltföderalisten verstehen wir die Welt als eine Gemeinschaft ...
Wir erklären, daß die Prinzipien eines gemeinsamen Lebens,
die Grundlage jeglicher zivilisierter Existenz, auf die internationalen
Beziehungen angewandt werden müssen. Zu diesem Zweck verlangen
wir einen raschen Fortschritt in der Entwicklung demokratischer Weltinstitutionen
für ein Weltrecht, durch das die Menschen und Nationen der Erde
ihre Beziehungen friedlich und gerecht regeln lönnen, um eine ökologisch
vertragliche Weltgemeinschaft zu schaffen..."
Eine schöne Utopie? Und dennoch bildet das Bestreben des Weltföderalismus
(heute zählt der Verband wieder 30 000 Mitlgieder), legale und
politische Macht in Weltinstitutionen einzusetzen, um sich wirkungsvoll
mit den globalen Problemen zu befassen, vielleicht die einzige Antwort
auf dem steinigen Weg ins 21. Jahrhundert.
von Stephan Mögle-Stadel